13. November 2018
Ein Besuch der Urspringschule im Nebelmonat
In meiner Forschung widme ich mich seit langem der Frage, wie Theorie und Praxis der Deutschen Landerziehungsheime im Verlauf von mehr als einem Jahrhundert im Erziehungswesen Japans aufgenommen wurden. Es ist damit kein Zufall, dass ich auf Bernhard Hell (1877–1955) stieß, den Gründer der Urspringschule.Zu meiner großen Freude konnte ich Ende November die Urspringschule direkt kennenlernen. Ein Elftklässler aus der Schweiz führte mich durch die Schule. Sowohl der Schulleiter als auch der Internatsleiter fanden sich zu Gesprächen bereit. Ich besuchte den Unterricht in verschiedenen Fächern (Deutsch im Spracheninstitut; Bildende Kunst in der siebten Klasse; Deutsch in der sechsten Klasse; Deutsch in der dritten und vierten Klasse) und drei Werkstätten (Schneiderei; Schreinerei; Feinwerkmechanik). Ich wohnte auch dem Abendschluss in einem Mentorat bei.
Der Tagesplan der Schule erlaubte mir, innerhalb beschränkter Zeit den facettenreichen Alltag der Schule zu erleben und dabei einen bleibenden Eindruck zu gewinnen. Zum einen waren die – mir bekannten – pädagogischen Prinzipien der Landerziehungheime überall ersichtlich: Ich fand Internatsleben, Feiern, Sport, handwerkliche Betätigung, Arbeitsgemeinschaften, Musik und Kunst unverändert gewürdigt, wie einst unter Hells Leitung. Zum ande-ren ließen sich hier und dort aber auch neue Ideen beobachten, die unter Hells Leitung noch nicht in Erscheinung getreten waren: Ich erfuhr, wie die jüngeren Programme – Lehrlingsausbildung, Aufbaugymnasium und Spracheninstitut – entstanden sind. Die Verschmelzung von Tradition und Innovation verleiht der Urspringschule heute eine herrlich lebendige Vielfalt, die auf einem überschaubaren Gelände gleichsam ein Abbild der weiten Welt darbietet. Die Lehrpersonen waren sich einig, dass diese Schulgemeinde zur Heimat aller ihrer Schüler werden soll.
Während meines Aufenthaltes in Urspring wohnte ich im Hellhaus, dessen Name auf den Schulgründer verweist. Vom Fenster dieses Hauses genoss ich eine verzaubernde Aussicht. Am frühen Morgen lagerte der Nebel über Feld und Wald. Als er sich lichtete, begann der Rauhreif zu glänzen. Am Abend beleuchtete der Vollmond Pferde im anstoßenden Stall und den Bergfried der Burg Schelklingen auf dem Hügel. Ich fühlte mich tief mit dem Land verbunden.
Bei meinem Besuch ging die Urspringschule in vorweihnachtlicher Stimmung auf: Advents-Kalendar wurden gebastelt und Weihnachtsspiele wurden geprobt, wie einst unter Hells Leitung, jedoch zeitgemäß interpretiert.
Nach Japan zurückgekehrt lese ich gerade ein Buch über die Geschichte der Urspringschule. Die Tage, die ich an der Schule verbracht habe, eröffnen mir eine vertiefte Perspektive auf diese Geschichte und einen festen Anknüpfungspunkt für ihre weitere Erforschung.
Ich möchte meinen innigen Dank aussprechen an alle Mitglieder der Schulgemeinde, die meinen Aufenthalt zu einer dermaßen bereichernden Erfahrung machten!